Kurdische Volksgruppe mit eigenständiger Religion ist meist nur aus Karl-May-Büchern bekannt – Mit Islam lediglich Aspekte der Wallfahrt gemeinsam

Gießen/Lollar (vh). Die Eziden sind eine kurdische Volksgruppe mit eigenständiger monotheistischer Religion. Werbung für eine Mitgliedschaft findet nicht statt, das wäre auch gar nicht möglich, denn in diese Religionszugehörigkeit kann jemand nur hineingeboren werden, wenn beide Elternteile ezidischer Abstammung sind. Seit den 80er Jahren kommen Eziden aufgrund von Unterdrückung auch nach Deutschland, sie sind hierzulande anerkannte Flüchtlinge. Mittlerweile gibt es einen Zentralrat der Eziden. Im Februar 2011 wurde die Christlich-Ezidische Gesellschaft (CEG) für Zusammenarbeit in Forschung und Wissenschaft (Sitz in Lollar) gegründet. Den Vorsitz übernahm Dr. Linus Hauser, Prof. für Systematische Theologie an der Justus-Liebig-Universität (JLU) Gießen, sein Stellvertreter ist Irfan Ortac, der Vorsitzende der Ezidischen Gemeinde Hessen mit Sitz in Lollar.

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Am vergangenen Wochenende organisierten CEG und JLU ein Symposium zum Ezidentum mit dem Thema „Vom Oralen zum Schriftlichen“. Veranstaltungsorte waren am Freitag das ezidische Gemeindehaus in Lollar (Justus-Kilian-Straße) und am Samstag das Institut für katholische Theologie der Universität. Der ursprüngliche Sonntagstermin fiel wegen des Fehlens einen Referenten aus. In den Vorträgen und Diskussionen während des Symposiums standen die Überlieferungsprozesse der Eziden im Mittelpunkt. Das Symposium moderierte CEG-Vorstandsmitglied Mathias Dierßen.

Eingeleitet wurde das Symposium durch ein Gebet des theologischen Gelehrten Adnan Xerawayi (Hamburg), Vorsitzender Irfan Ortac danke Hauser für die Bereitschaft, wissenschaftliche Forschung gemeinsam zu betreiben. Er sprach von den Schwierigkeiten im Allgemeinen, Glaube und Wissenschaft miteinander zu verbinden. In der westlichen Welt arrangiere sich beides miteinander. Im Ezidentum stehe die Forschung eher noch am Anfang. Die Vorträge des Symposiums sollten Impulse geben. Hauser bekannte sich zu seiner vorherigen Unkenntnis über das Ezidentum. In den anderthalb Jahren seines CEG-Vorsitzes bewundere er die „hohe Integrationswilligkeit“ der Gemeindemitglieder. Forschung über das Ezidentum solle diese Glaubensrichtung besser kennen und verstehen lernen. Das Beispiel Jesus von Nazaret mache deutlich, wie schwierig die Unterscheidung von Glaube und historischer Personenbeschreibung sei. Das Ezidentum in der westlichen Welt komme bestenfalls in Karl Mays Werken(„Durchs wilde Kurdistan“, „Durch die Wüste“) zum Ausdruck.

Serhat Ortac, der am Freitag referierte, kam 1985 nach Deutschland, wo er sich zum Volljuristen ausbildete. Er stellte Sheikh Adi vor, die zentrale Figur der Eziden, im Bezug zwischen Mythos und Wirklichkeit. Das Ezidentum sei eher dem Personenkult zugetan, auf jeden Fall keine intellektuelle Religion. Wissenschaftliche Quellenkritik an einer schriftlichen Überlieferung sei unüblich sei unüblich. Allein deshalb, weil es im Ezidentum viele verschiedene Traditionsstränge der mündlichen Überlieferung gebe, nicht jedoch eine fundamentale Theologie im Sinne von Buchüberlieferung wie im Christentum und Islam.

Ezidische Erzählungen verfügten kaum über die im Westen für eine kollektive Identität gültigen Eigenschaften. Es sein vielfach Anekdoten mit auf die Erwartungen von Adressaten zugeschnittenem Inhalt. Dennoch hielt Ortac viele Texte wichtig genug, um als „legitime Basis für einen Diskurs“ zu dienen. Im Ezidentum habe ein Schöpfergott die Welt geschaffen, dann aber den Naturkräften übergeben. Über Sheikh Adi habe der Orientalist Rudolf Frank vor hundert Jahren zuletzt publiziert, seitdem herrsche Ruhe

In der anschließenden Diskussion wurden grundsätzliche Fragen gestellt. Etwa ob sich das Ezidentum als wissenschaftliches Forschungsprojekt überhaupt eigne oder ob Forschungsergebnisse von den Religionsmitgliedern akzeptiert würden. Insbesondere die Figur des Sheikh Adi nahm großes Interesse in Anspruch. Ob er von ezidischer Abstammung sei oder ein Konvertit, warum er den Status eines Reformers, Heiligen oder Wundertäters besitze. Die Frage aus dem Auditorium nach Gemeinsamkeiten des Ezidentums mit dem Islam war von Ortac schnell beantwortet: Es sei der formale Aspekt der Wallfahrt. Identische Glaubensinhalte lägen nicht vor.

Zum Symposium am Samstag begrüßte Prof. Hans-Jürgen Bömelburg, Dekan des Fachbereichs 04, die Gäste. Über „Qewls – religiöse Texte und ihre narrative Pragmatik“ referierte Chaukeddin Issa. „Heiligen Figuren und Persönlichkeiten“ betrachtete Abdulaziz Abdallah. „Jugendkultur und Kulturkonflikte“ der Eziden in Deutschland war das Thema von Dr. Sefik Tagay. Über „Die Rolle der Selbstorganisation beim Integrationsprozess der Eziden in Deutschland“ sprach Cihan Acar. (Fotos: vh)

Quelle: Gießener Allgemeine