Am Abend des 02.08.2014 begannen die Terroristen des Islamischen Staates (IS) ihren Angriff auf das überwiegend von Eziden bewohnte Gebiet Sinjar (Shingal). Die ersten Angriffe richteten sich gegen die ezidischen Ortschaften Siba Sheikh Khidir, Til Benat, Til Keseb und Til Aziz. Wie zuvor schon in Mosul durch die irakische Armee, gab es auch in Sinjar so gut wie keine Gegenwahr, der dort stationierten Peshmerga Kämpfer.
Bewaffnete ezidische Zivilisten leisteten zwar Widerstand gegen die heranstürmenden Terroristen des IS, aber die Übermacht war zu groß. Panik machte sich in den betroffenen Ortschaften breit und tausende Eziden flüchteten aus ihren Dörfern und versuchten sich in das Sinjargebirge zu retten. Viele Familien verloren ihre Angehörige im Dunkeln der Nacht, andere mussten sich entscheiden welche Familienangehörigen sie mitnehmen, um wenigstens einige retten zu können und andere wiederum verloren sich in der Masse der Flüchtlinge.
Der Vormarsch der Horden des IS schreitete rasend voran und dort wo sie auf Eziden trafen, gingen sie mit einer Brutalität gegen die Zivilbevölkerung vor, die man sich als Mensch nicht vorstellen kann und will. Weiterhin zerstörten die Terroristen des IS die ezidischen Pilgerstätten und schändeten ihre Friedhöfe.
Am 04.08.2014 erklärte die Führung des IS, dass alle Eziden die nicht konvertieren wollen, getötet werden. Stunden später wurde diese Androhung in die Tat umgesetzt. In der Ortschaft Siba Sheikh Khidir wurden die ersten 30 Eziden enthauptet und ihre Köpfe zur Schau gestellt. Im Dorf Ginia wurden 83 junge Eziden exekutiert. Weitere 88 wurden ebenfalls ermordet, nachdem sie sich geweigert hatten, zum Islam zu konvertieren. Wir gehen davon aus, dass bis heute über 3500 ezidische Männer getötet worden sind. Es befinden sich noch weitere über 7000 Menschen, davon über 3500 Frauen, Mädchen und Kinder in der Hand des IS. Die Gräueltaten beschränken sich nicht nur auf das Töten: Entführte ezidische Frauen wurden vor den Augen ihrer männlichen Verwandten vergewaltigt, sie wurden Teilweise für 75 $ als Sexsklaven im Irak und Syrien verkauft. Einige vergewaltige Frauen wurden freigelassen, damit sie von den Taten berichteten. Zu hunderten haben diese Frauen Selbstmord begangen. Kinder, Frauen und Männer wurden lebendig begraben, Kinderleichen wurden an Häuserwände aufgehängt und Menschen wurden lebendig gekreuzigt.
Die in das Sinjargebirge geflüchteten Menschen hatten mit Temperaturen um 45° Grad zu kämpfen. Sie hatten kaum Wasser und Nahrung bei sich. Kinder, alte Menschen und die Kranken waren die ersten, die der Hitze am Tag und der Kälte in der Nacht zum Opfer fielen. Zu Hunderten verdursteten die Menschen.
Die Eziden gründeten unter der Führung von Qasim Shesho die ezidische Verteidigungseinheit und kämpften an vorderster Front gegen die Kämpfer des IS. Die Verteidigungseinheit hat in den ersten Tag sowohl die in den Bergen geflüchteten Menschen Schutz gegeben als auch die Pilgerstätte „Sherfedin“ vor der Schändung durch die Terroristen des IS beschützt.
Trotz anfängliches Zögern hat die internationale Gemeinschaft dieses Mal unter der Führung der USA reagiert und mit Luftunterstützung den Vormarsch des IS verlangsamt und die Notversorgung der Flüchtlinge in den Bergen sichergestellt.
Zurzeit befindet sich nahezu die komplette ezidische Gemeinschaft im Irak auf der Flucht. Die Zahl der ezidischen Flüchtlinge liegt bei ca. 450.000 Menschen. Der größte Teil hat Zuflucht in Zakho und Dohuk im Nordirak gefunden, wobei sie momentan unter katastrophale Bedingungen leben. Ein großer Teil befindet sich in Syrien und mehrere Zehntausende sind in die Türkei geflüchtet. Mittlerweile sind einige Tausend von ihnen auch in Deutschland.
Die gesamte Ninewe Ebene ist noch in der Hand des IS. Sollten die christlichen und ezidischen Dörfer und Städte nicht von dem IS befreit werden und die Flüchtlinge nicht in ihre Heimat zurückkehren können, werden nahezu alle den Weg in Richtung Europa, insbesondere Deutschland nehmen.
Obwohl sehr viel Humanitäre Hilfe von der internationalen Staatengemeinschaft in den Nordirak fließt, kommt derzeit wenig oder gar keine Hilfe bei den Flüchtlingen selbst an. Sehr viele schlafen noch in den Bauruinen, und die hygienischen Zustände sind besorgniserregend.
Die jetzt erfolgte Einnahme der Stadt Sinjar durch IS-Terroristen bedeutet insbesondere für die dort lebenden Eziden, Christen, Mandäer und Schiiten die drohende Ausrottung.

Wir haben bereits Mitte Juni gemeinsam mit anderen ezidischen Vereinen in Deutschland über die von IS ausgehende tödliche Gefahr für die religiösen Minderheiten, wie Christen, Eziden, Aleviten und Mandäer hingewiesen. Dass diese Einschätzung realistisch war, hat sich nun bestätigt. Betroffen sind die Eziden in besonderer Weise. Die ezidische Religion mit ihrer 4000-jährigen Geschichte, die keine Missionierung kennt, ist über Jahrhunderte in und von der islamischen Welt bekämpft worden.
Die Minderheiten wurden im Irak traditionell und besonders in jüngster Zeit ausgegrenzt. Zu den Medien haben sie kaum Zugang. Daher sind sie für die Islamisten die leichteste Beute. In Shingal, ihrem Hauptsiedlungsgebiet, haben die Eziden keinerlei eigene Rechte.
Um den Genozid, der jetzt im Nordirak droht, und eine Kette weiterer Massenmorde zu verhindern, sind vor allem die Länder dringend gefordert, die in den Vereinten Nationen Einfluss und damit eine besondere Verantwortung haben, militärisch das Schlimmste zu verhindern und diejenigen zu unterstützen, die noch Widerstand leisten. Ferner betrachten wir als notwendig an, dafür Sorge zu tragen, dass die Menschen in ihrer Heimat bleiben. Dafür müssen sie jedoch eine politische Perspektive haben. Irak darf nicht Christen und Ezidenfrei werden. Sie haben ein Recht auf Heimat.